Nichts als (heiße) Luft im Kasten
Erhielte er ein Arbeitszeugnis, müsste man diesem stillen, äußerst angepassten, unauffälligen Mitarbeiter mit pförtnerähnlicher Stellenbeschreibung im Eingangsbereich ein hohes Maß an Zuverlässigkeit bescheinigen. Er ist dazu in der Lage, geduldig auf seine Aufgabe zu warten und anschließend nur einmal täglich Bericht über seine Arbeitsergebnisse zu erstatten. Er verhält sich ausgesprochen loyal, obwohl er seit geraumer Zeit erkennt, dass sein über Jahre sicherer Arbeitsplatz wackelt, jüngere Beschäftigte aus der IT-Branche drängen sich auf, würden bei gleichem Zeitaufwand effizienter agieren.
Der Briefkasten soll seine Klappe halten, doch einmal am Tag wünschen wir uns ihr Geräusch zu hören. Ob er als gepflegte Box am Einfamilienhaus hängt, als neomodernes US-Imitat im Kleinstadtgarten, als verbeulte Blechkiste im heruntergekommenen Wohnblock, der treue Diener kann seinen Inhalt nicht beeinflussen. Hier wie dort kann er zur Schatzkiste oder zur Büchse der Pandora werden, in jedem Fall übernimmt er Kommunikationsträgerfunktion bis in weite Fernen.
Rechnungen aller Art und Höhe, schicksalsträchtige Laborbefunde, giftige Notar- und Anwaltsschreiben, Trauerkarten erreichen uns genauso durch ihn wie bunte Urlaubskarten, erfreuliche Einladungen und unerwartete, lukrative Angebote.
Manchmal wirkt der leere Kasten wie ein nicht mehr anschlagender Beliebtheitsmesser, depressive Verstimmungen sind die Folge. Man degradiert sich selbst zu jemanden, der nur noch als Rechnungsadressat für andere bedeutsam ist. Vielleicht ist uns der leere Kasten aber auch nur unangenehm, weil uns die darin enthaltene Luft nicht von all den unsichtbaren Botschaften ablenkt, die sich in ihm gesammelt haben. Der nicht vorhandene Urlaubsgruß, das nicht für nötig erachtete Lebenszeichen oder das nie abgesendete Dankschreiben.
Die ungeschriebenen Briefe sprechen für sich, sie enthalten die meisten Missverständnisse und sind schwer zu beantworten. Diese verhalten sich wie ein Virus, der immer mehr Briefkästen befällt und den Inhalt zu unsichtbarer Luft macht.
Dem Virus kann nur mit einem einzigen Gegenmittel Einhalt geboten werden: Das Sammeln der eigenen Gedanken auf Papier, das anschließend auf die Reise geschickt wird. Nur so wird der eigene Briefkasten vom Befall gereinigt, früher oder später nehmen die Briefe im Kasten wieder sichtbare Gestalt an und werden von unberechenbaren Geistern zu vertrauten Besuchern.
It's a great click of old vacant house's old postbox.
Yes. But it's not my picture, I just wrote the text. Feel free to vote if you like it.
Genau so dachte vor Jahren ein Freund von mir und kam auf folgende Lösung. (noch bevor es sms und eMail gab)
Der schreibt sich selber Briefe und schick sich Karten aus seinem eigenen Urlaub.
Und der freut sich dann darüber zum Briefkasten zu gehen und nachzuschauen ob er Post hat. Da ist es ihm auch total egal das die ja eigentlich von ihm selbst sind.
Hihi, na das sind ja Maßnahmen! Aber schön, wie leicht dein Freund zu erfreuen ist. Das liegt hoffentlich wirklich an seinem positiven Gemüt und nicht einer Art von Amnesie.
;) So weit ich das beurteilen kann ist er gesund.
Wir waren und sind schon immer so eine kleine eigenwillige und vielleicht auch naive Truppe gewesesn.
Das ist auch eine Möglichkeit.
Was? Noch vor dem Jahre 1971 also ;)
:D
Fast. Ich glaube das muß so um die 1995 gewesen sein, da waren wir 23 Jahre alt.Der Grund war vielleicht auch neid.Seine Schwestern haben des öfteren Post bekommen, sogar aus Irland und Kanada. Nur er nicht.
Siehste - hier gibt es weder Briefträger noch Briefkästen & zumal sowieso nur noch negative Dinge darin Platz finden, vermisse ich den überhaupt nicht :)
Tschä, dann muss ich dich ja gar nicht nach deiner Adresse fragen und die Chance auf rosarote Briefumschläge, aromatisiert mit einem Hauch Patchouli, ist vertan...
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Oh, thank you @peppermint24. Is this doctor supposed to be our new Speedy?!
Ich folge dir noch nicht allzulange, mag aber deinen Schreibstil sehr.
Von der Fähigkeit so ein alltägliches Thema mit hintergründigen Gedanken zu beleben, rede ich da noch gar nicht.
Tolles Leseerlebnis jedenfalls. Freue mich auf weitere Beiträge von dir. :-)
Hey, vielen, vielen Dank für diese tolle Rückmeldung! Freut mich sehr.
Mein Blog ist vom Stil her sehr durchwachsen, hoffe, ich werde deine Erwartungen auch zukünftig erfüllen ;-)
Endlich finde ich die Zeit!
Hallo Christiane,
bevor die Wörter fließen, werfen wir zuerst einen Blick auf das gierige Monster vor unserer Tür, das Werbung konsequent ausspuckt und Rechnungen ganz nach hinten in die dunkle Ecke schiebt.
Es ist ein ausgedienter Bienenkasten, dem ich ein Dach verpasst habe und von einer kleinen Holzstütze immer offen gehalten wird.
Absperren war gestern. Denn da erreichten sie uns noch, die Briefe, die auch du so vermisst. Handgeschrieben und auf unterschiedlichstem Papier festgehalten.
Ein Stück Karton mit Briefmarke und Stempel, ein beschriebener Bierdeckel und ein gefülltes Bambusrohr. Alles war schon dabei.
Da es in der kleinen Familie auch eine äußerst kreative Person gibt, zieren diese Briefe heute, wie eine Tapete, eine ganze Wand in unserem Haus.
Es scheint an der Zeit das Tintenfass wieder näher beizuziehen.
Nostalgisch angehaucht und ein wenig wehmütig ...
Wolfram
Hallo lieber Wolfram,
wie sehr ich mich über deinen Kommentar freue! Nicht nur über das integrierte Foto, welches mit dem gefräßigen Bienenmonster (oder so ähnlich) die perfekte Abrundung des Artikels bietet. Irgendwie habe ich nämlich an dich gedacht, als ich den Beitrag "im Kasten" hatte. Habe tatsächlich kurz überlegt, ob ich mir da etwas von deinem Stil abgeguckt habe, war jetzt mal ganz anders als sonst.
Inspiriert haben mich zum einen die (Arbeits)zeugnisse, die ich gerade schreibe, von denen ich mich aber periodisch ablenken muss, und eine Urlaubskarte von einer Freundin, von der ich bestimmt ein Jahr nichts gehört habe. Sie ist eine große WhatsApp-Liebhaberin, ich hasse "Wie geht's denn so" auf diese Art. Nachdem von mir in immer größeren Abständen "Gut, danke" kam, schlief die Kommunikation ein. Schade, war es doch eine Kindergartenfreundin (!), nicht schade, kann ich auf solchen Austausch verzichten. Aber über die Karte habe ich mich unendlich gefreut! Ich werde ihr einen Brief schreiben!
Und "nostalgisch" hättest du nicht schreiben dürfen... So sitze ich hier und denke über all die Brieffreundschaften nach, die ich als Kind und Jugendliche gepflegt habe und an den riesigen Frevel, den ich im Rahmen eines dämlichen esoterischen Anfalls im Sinne von "Befreie dich von allem Ballast" bezüglich meiner über Jahre gehegten Briefsammlung begangen habe. Nein, keine öffentlichen Tränen.
Tschä, auch wir werden nicht zu Goethe und Schiller, besitze ich im Gegensatz zu dir nur einen einzigen Füllfederhalter, dessen Tinte seit Jahren vertrocknet ist...
Auch etwas wehmütig aber nicht depressiv grüßt
Christiane
Wunderbar! Reiner Lesegenuss. Perfekt, liebe @Chriddi wird es mit einem nur kleinen Kniff.
Dem Virus kann nur mit einem einzigen G…
Diese–Diese stört mich. Du bist echt eine Wundertüte.
Puh, bei dem fett gedruckten "Dem" fürchtete ich schon, ich hätte mir einen groben grammatischen Patzer erlaubt. Die Wortwiederholung ist tatsächlich ein Schönheitsfehler, der den Lesefluss einschränkt und wird umgehend ausgemerzt.
Und sonst wundere ich mich gar nicht und finde deinen Kommentar total lieb, danke dir, lieber @afrog!
Hallo....eine wirklich gelungene Geschichte,danke dafür 😊
Schön, dass sie dir gefällt. Danke für's Lesen und die schöne Rückmeldung :-))
Schön zu lesen liebe chriddi - mein Briefkasten fühlt sich gleich ganz anders - irgendwie upgevoted ;-)
Fein :) Obwohl die Aufwertung natürlich erst nach dem Herauslassen der Luft vollendet ist...
;-)
Schön geschrieben, was mich betrifft gilt "Keine Post, keine Rechnungen" und im Zeitalter der Digitalisierung hat bei mir die Mailbox mehr Bedeutung als die Blechbüchse draußen an der Wand.
Danke sehr 😊
Tja, bei wem ist das nicht so? Schade halt...