Retter des Abendlandes: Das wurde wirklich aus Pegida

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Otto, Hans und Peter, gezeichnet von Kümram mit nachhaltiger Rügener Malerkreide: Die drei Männer gehören zu den letzten störrischen Pegida-Demonstranten.

Zuletzt hat Otto eine Regenbogenfahne mitgebracht. Nur mal als Test, hat er gesagt. Die anderen murrten vernehmlich, aber als der kleine Zug, 14 waren sie an diesem verregneten Montag im Frühherbst noch, sich endlich in Bewegung setzte, durfte der 62-jährige frühere Klempner doch mitgehen. 

Bei Pegida in Dresden kommt es inzwischen auf jeden Mann an und nicht mehr so sehr auf die reine Lehre. "Otto wollte nur probieren, ob die neue Fahne neue Leute anzieht", sagt Hans, der seit 2015 mitmarschiert. Wobei "marschiert" bei ihm wie Hohn klingt. Der ehemalige Ferienheimleiter ist seit einem Skiunfall vor sechs Jahren auf einen Rollator angewiesen. "Ich kann nicht mehr so, wie ich wollen würde", grinst er ein wenig schief.  

Pegida klang nach Rebellion

Fotografieren lassen möchte keiner aus dem Häuflein, das sich das "störrische Dutzend" nennt. Damals, sagt Hans, als er noch richtig laufen konnte, seien sie Tausende gewesen, wütend, empört und eine Macht, die die Republik erschütterte. "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", das klang nach Rebellion. "Lars Kressmann war damals noch im Orga-Team", sagt Otto mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Und der Özdemir hat uns als Mischpoke bezeichnet", erinnert sich Hans an die großen Tage der Pegida-Spaziergänge, als der Bundesregierung nichts anderes übrigblieb, als die harten Forderungen der verfassungsfeindliche Bewegung in den Besteckkasten der eigenen Bestrebungen aufzunehmen.

Mehrere Monate lang hatte Deutschland zu vor auf der Kippe gestanden. Durch die selbsternannten Retter des Abendlandes drohte nichts weniger als der Untergang desselben. Fernsehgerichte tagten in Permanenz, Kirchen und Dome "knipsten" (Die Zeit) die Lichter aus, Spitzenpolitiker äußerten Trauer, Wut und Scham angesichts dessen, was da aus einem Schoß kroch, der noch fruchtbar roch.

Abgrund aus Hetze und Hass

Die "Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses" (Kölner Stadtanzeiger) stürzten Deutschland in einen Abgrund aus "Hetze" und "Hass" (dpa), dessen Grund nicht zu sehen war. Die damalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi urteilte klipp und klar über Hans, Otto und die Bestrebungen ihrer Spießgesellen. Sie "schüren Ressentiments und Hass und versuchen, einen Keil durch Deutschland zu treiben", sagte die Politikern, die nach ihrem Scheitern an der SPD als Gewerkschaftsvorsitzende nachverwendet wurde.

Ein Karrieresprung, den sich auch so mancher auf der traditionellen Hassrunde durch die Dresdener Altstadt wünschen würde. "Ich bin Rentner, aber auf Grundsicherung angewiesen", schaut Hans auf ein arbeitsreiches Leben zurück, das ihn hierher auf den Semperplatz geführt hat. Wenn sie gut bezahlt werden, nehme er immer noch jede Arbeit an. "Möglichst aber will ich bar bezahlt werden." Otto steht besser da, "bei mir ist es mehr die Angst davor, dass der Staat mir am Ende das bisschen Häppchen wegnehmen wird, was ich habe." Das Einfamilienhäuschen, die Gasheizung, den neun Jahre alten Opel, die selbstgemauerte Datsche. "Für Diedaoben klingt das bestimmt nicht nach viel, aber für mich ist es alles."

Zögern trotz Zeichenkreide

Heute stellen sie willig auf, als der mitgereiste junge Künstler Kümram seine Zeichenkreide zückt, um wenigstens ein Gruppenbild der letzten Männer von Pegida zu malen: So, dass niemand erkennbar ist, das ist abgesprochen. "Nicht, dass wir Angst hätten", begründet es Peter, einer der jüngeren hier. Aber es sei eben für alle ein wenig peinlich, dass die Massenbewegung heute nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Es gibt schon lange keine Gegendemonstrationen mehr, kein Großaufgebot der Polizei, keine Heerscharen von Medienarbeitern aus Hamburg, Berlin, Köln und Frankfurt, die auf der Suche nach Hutbürgern sind, denen sie die Biedermann-Maske vom Gesicht reißen können.

"Hier im Lager der hasserfüllten Verleumder kennen wir uns inzwischen alle auch privat", sagt Hans. Mit grillt zusammen, "Fleisch natürlich", wirft Peter ein, man zischt ein Bierchen, man erinnert sich an Höhepunkte wie den Auftritt des Österreich-Chef der in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachteten "Identitären Bewegung", Martin Sellner, oder dem Chefredakteur des neu-rechten "Compact"-Magazins, Jürgen Elsässer, zwei Hate-Fluencer, die die Menge dazu brachten, staatsfeindliche Parolen wie "Merkel-muss-weg"- und "Volksverräter" zu brüllen und einen Stopp der Zuwanderung zu fordern.

Die guten alten Zeiten

"Das waren noch Zeiten", schwärmt Otto, "als die Polizei die Gegenprotestler aus Angst vor Gewalt nicht nahe an uns ranließ und es hin und wieder gab es sogar Hinweise auf eine islamische Bedrohungslage gab". Es sei ein Gefühl gewesen, als rüttle man allein mit seiner Spaziergängerei die Welt aus den Angeln, beschreibt Hans das Hochgefühl, das er jedes Mal gespürt habe, wenn im politischen Berlin Kübel aus Verleumdung, Hass und Rechtsextremismusvorwürfen über ihm und seinen Mitdemonstranten ausgeschüttet wurden. "Man hat eindeutig bemerkt, dass sie einen bemerken", bestätigt Peter. Es seien ja Polizeibeamte aus mehreren Bundesländern geschickt worden, um die als "Abendspaziergänge" getarnten Montagsdemos zu bewachen, die Teilnehmer zu fotografieren und die Augen und Ohren nach möglichen Straftaten aufzuhalten.

Meist vergeblich. "Denn wir sind doch im Grunde alle gemütliche Sachsen, die nur in Ruhe gelassen werden wollen", sagt Otto. Zum ersten Geburtstag der Bewegung, damals noch ein Massenphänomen, das drohte, auf die gut demokratisierten Westgebiete überzugreifen, kam trotzdem "zu Rabatz", wie sich Peter erinnert. "Es gab ein paar Übergriffe auf uns, die dann als ,gewalttätige Zusammenstöße' abgeheftet wurden, aber auch extra uns zu Ehren ein Bürgerfest der Stadt unter dem Motto "Dresden zeig Dich!" Er als früherer Lehrer habe unter dem Kommafehler gelitten, die Geste aber anerkannt: "Es war das erste Mal, dass die engagierte Stadtgesellschaft anerkannt wurde und Aktivisten wie wir nicht verleumdet worden sind."




 



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