Wenn Popkultur zum reinen Produkt verkommt

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Foto von der Website Phoenixreisen.com

Vor langer Zeit war ich mit einem kürzlich verstorbenen texanischen Freund auf einem Musikfestival unterwegs. Er sagte mir, daß er sich alle diese neuen Bands anhört, aber irgendwie nicht von denen berührt ist. Sie klingen lauter, sauberer und haben allgemein besseres Equipment – aber da fehlt was. Damals haben die Musiker gespielt, weil sie wollten, weil sie etwas zu sagen hatten. Die Kids heute spielen, weil sie Geld verdienen wollen. Das würde nicht mal seine alte Oma hinter dem Herd hervorlocken. Seine Worte blieben bei mir hängen und sprachen das aus, was ich damals bisher nicht formulieren konnte. Als Zeitzeuge hatte er auch den Hintergrund, um so etwas vergleichen zu können. Ich kenne nur die Platten und VHS-Kassetten der 60er und 70er. Er war aber live dabei. Bob Dylan sah er in einer Kneipe spielen, bevor er berühmt wurde. Mit Janis Joplin feierte er einen Abend lang. Und er besuchte die Konzerte, klein und groß. Und das, obwohl er kein Hippie war, sondern ein Ingenieur mit typisch texanischer Manier: Stiefel, Cowboyhut und nur einen Gürtel, den er sein ganzes Leben lang trug. Ihn unter all diesen Hippies zu sehen, muss ein Bild für Götter gewesen sein. Er heiratete übrigens eine Frau aus der Hippiebewegung.

Zwanzig Jahre später, nachdem er mir dies gesagt hatte, hat sich alles nur noch weiter von bedeutungsvoller Kunst entfernt.

Wenn ich die Charts vergleiche …

der 60er-90er, so finden sich in der Popkultur Musiker, die außergewöhnliche Talente waren. Ihre Kompositionen waren ausgetüftelt, und die Botschaft hatte Tiefe – sofern das bezweckt war. Wenn ich mich mit den Liedern auseinandersetze, dann staune ich oft darüber, wie diese scheinbaren Popsongs (also „simple“ Kost) eigentlich komplexe Elemente enthielten. Insbesondere das Lied „Fortress around your heart“ von Sting, welches von Rick Beato fabelhaft analysiert wird. Kann man sich auch hier im Original anhören:


Das nur als ein Beispiel.

Aber der Wandel vom Rockmusiker zum Rockstar raubte dieser Kunst etwas, das auch in uns eine Leere erzeugt. Es ist nicht so, als höre ich nur hohe Komposition; Klassik, Jazz und Schnöselkram – meine Musikbibliothek berstet vor Popmusik – aber ein „Born in the USA“ machte mich sensibel für den Vietnamkrieg, oder „School“ von Supertramp reflektierte meine Suche nach einem Leben außerhalb der Konformität.

Es scheint mir, als konnten Künstler das Hässliche zeigen, aber es in ein Schönes verwandeln. Sie reflektierten das Kaleidoskop unserer Seelen. Betrachte ich dagegen den Mainstream-Pop heute, so finde ich zwischen Profanem und schlichtweg Lebensverneinenden nur noch eine in den letzten Zuckungen zusammengesackte Seele.

Aber das ist eben der Zeit(un)geist, der reflektiert wird.

In meiner Zeit als aktiver Musiker…

gab es zwei Hauptmotive, die in der deutschen Musikszene der treibende Motor waren:

  • Wir identifizierten uns mit der Musik, die wir spielten.
  • Wir wollten gehört werden.

Die Identifikation mit der Musikrichtung war ein Lebensgefühl. Sei es Rap, Grunge, Funk, Punk oder auch Songwriting. Wir standen dazu, und wir hatten eine Botschaft. So weit, so gut.

Das ‚wir wollten gehört werden‘, war schon etwas problematischer, wenn auch nachvollziehbar. Klar wollten wir gehört werden. Selbstverständlich wollten wir eine Karriere machen und nur noch Musik machen. Es war einfach eine Leidenschaft! Aber da lag schon der Teufel im Detail. Denn die Künstler, mit denen ich arbeitete, wollten um jeden Preis Erfolg und kopierten andere Stars. Erst waren es die Red Hot Chilli Peppers, Guano Apes, Tori Amos, Skunk Anansie, oder wesentlich später die generischen Künstler und Bands, die man nicht mehr wirklich voneinander unterscheiden konnte, und deren Halbwertszeit immer kürzer wurde. Es wurde zusehends frustrierender, und ich verließ die Bühne für das Studio.

Mit dem Erscheinen von Social Media …

erlebte ich auch die ersten Anzeichen des Niedergangs mit solchen Plattformen wie Myspace oder Facebook. Und zwar weil ich allgemein, wie auch bei mir, eine Unart entdeckte, die nichts mehr mit menschlicher Verbindung, geschweige denn Kunst zu tun hatte: die Notwendigkeit von Klicks. Je gesättigter der digitale Äther wurde, umso lauter mußte man sein. Die Musik wurde allmählich verdrängt, und am Ende war der Song nur noch der Werbe-Jingle für das Produkt. Der Neoliberalismus hatte gesiegt.

In den vergangenen Jahren behielt ich natürlich die Entwicklungen im Auge (und Ohr), auf der Suche nach etwas Besonderem. Etwas, das herausstach. Und ich sah schon einige Künstler, die sich bemühten, eine Botschaft zu transportieren. Aber es störte mich immer etwas gewaltig. Ich konnte es nicht wirklich benennen, bis dann der Groschen fiel.

Die Kunst als Werbespot …

hat sich einen festen Platz im Bewusstsein der Massen gesichert. Stil, Ausdruck und Botschaft waren nur noch wild zusammengeflickte Fetzen, die man stylish zu präsentieren hat. Ein Hut von Tom Waits, eine Weste von Terence Trent D’Arby, ein Augenaufschlag von Madonna (Retro ist In) und das Ganze in Hochglanz verpackt unter dem Motto „Rettet das Klima“ (aber macht Party dabei!!). Oder die albernsten Kostüme und übertriebenen Showeffekte, die dem reizüberfluteten Zuschauer ein wenig Aufmerksamkeit herauswürgen will. Wohlstandsverwahrloste Dekadenz im Endstadium. Und so – wie man es bei Opfern von Ideologien auch immer wieder feststellen kann – wurde die einzelne Persönlichkeit irrelevant. Sie kann beliebig ausgetauscht werden.

So entdeckte ich kürzlich ein Video von ein paar jungen Künstlern, die irgendetwas mit ‚Frieden‘ und ‚Liebe‘, und ‚wir sind doch alle gleich‘ trällerten – die gleichzeitig eine Couch am Strand herumschleppten, auf dem sie abwechselnd turnten – und dabei glucksten, als wäre Shamballa vor ihren Augen auferstanden. Mei, sollen die ihren Spaß haben, aber es ist einfach hohl. Bedeutungslos. Glatt gebügelt. Steril. Frei von Menschlichkeit. Es ist alles nur noch ein endloses Instagram-Reel.

Professor Rainer Mausfeld hatte recht: Ich sah vor mir eine Kultur des „Identitätswarenkorbs“

Der Mensch als Ware. Aber ohne lebenslange Garantie. Man besorgt sich einfach einen neuen.

Gute Kunst …

lässt sich selbstverständlich noch finden. Bandcamp ist meine Hauptadresse in diesem Belang. Dort tummeln sich unheimlich gute und kreative Musiker herum. Aber mein Punkt ist: Die Popkultur als Spiegel des Zeitgeistes offenbart den Kulturtod, den wir mit Filtern und dem Opium der Realitätsverweigerung verzweifelt von uns weisen. Und wir haben den Mut verloren, laut auszusprechen, was in uns vorgeht. Wer es tut, wird gecancelt. Eine schreckliche Entwicklung!

Was lässt sich dagegen tun? Nichts. Es muss geschehen. Wir können nicht alten Wein in alte Schläuche kippen. Tabula rasa ist das Mittel, um das Alte sterben zu lassen, um dann, eines Tages, aus den Ruinen dessen, was wir einst Kultur nannten, etwas Neues entstehen zu lassen. Das ist auch etwas Natürliches. Auf dieser Welt ist nichts für die Ewigkeit. Alles kommt und geht. Es fällt aber schon schwer, dem Verfall beiwohnen zu müssen.

So schaue ich herum und freue mich auf den Tag, wenn durch das Nadelöhr des Unterganges gegangen wurde, und ein Lichtfunken, ein Ton aus einer neuen Welt sich offenbart, welches wir nur geduldig in uns vorbereiten und hüten können. Bis der Lärm der Dekadenz des Egoismus abebbt, und der Nihilismus an seinem Erbrochenen erstickt.



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Es lohnt nicht, persönlich Altes zu bewahren, das versperrt nur die Neugier für Neues.

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Sehe ich auch so. Da fahre ich zweigleisig:

Einerseits tauche ich privat so tief in die Kunst ein, wie mein Empfinden erlaubt, und freue mich über neue Entdeckungen.
Andererseits schiele ich in Richtung untergehende Vergangenheit und taste ab, was für gute Zeiten ich hatte.

Hängen tue ich nicht am Vergangenen. Aber als Melancholiker kickt die Wehmut manchmal schon :)

Aber ich schaue nach vorne und freue mich auf was kommt. Zum Beispiel wenn ich im Januar in den Flieger steige in meine neue (vorübergehende) Heimat :) Irgendwo in Asien.

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Irgendwo in Asien, das ist genau genug für einen konkreten Plan. Wer weiß,
wo du hängenbleibst und aus welchem Grund.
Ich wollte 1mal in warmen Wasser tauchen und bin dafür in den Urlaub nach Phuket geflogen.... und blieb 2 Jahre.

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Cool :)
So ähnlich isses bei mir auch.
War Anfang des Jahres für zehn Wochen in Chiang Mai um meinen Kopf wieder klar zu kriegen (sollten eigentlich nur vier Wochen sein), und habe dann gemerkt, daß ich in Asien einfach besser aufgehoben bin. Dort bin ich wie ein Fisch im Wasser.
Vietnam und die Philippinen interessieren mich auch sehr. Wollte ich mir anschauen, und dann entscheiden wo es sich am besten anfühlt.
Auf jeden Fall freue ich mich den Westen zu verlassen um mit Menschen zu leben, die – bei allen Macken und Ecken – mit weniger glücklich sind, und am Ende des Tages einfach gute Leute sind.

Das Leben dort ist simpler, und mehr auf die Lebensfreude ausgerichtet. Die Zeit läuft auch anders. Und da ich zum vierten Mal die gleiche Erfahrung gemacht habe (insgesamt fast eineinhalb Jahre dort verbracht habe), ist die Entscheidung gefallen.

Asien: Ich komme!

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