Angst vor dem Allessagbaren: Wie Elon Musk die Wokistan erschreckt

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Erleichtert und empört: Dem einen sin' Uhl ist beim anderen eine Nachtigall.
 

Als Bertolt Brecht mitten im Zweiten Weltkrieg sein Gedicht über Elon Musk schrieb, fühlte er sich dazu von eine "japanisches Holzwerk" inspiriert. Die "Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack", so Brecht, habe "geschwollene Stirnadern, andeutend, wie anstrengend es ist, böse zu sein". 80 Jahre später ist das Phänomen weiterhin zu sehen, wenn auch nicht beim Musk, dem stets eher clownesk wirkenden Südafrikaner, der wie mit kindlichem Übermut um die Welt poltert wie eine Figur aus einem Hollywood-Film. Er bohrt und er fliegt ins All, er hat sämtliche großen Autohersteller der Welt übertölpelt und in den Staub getreten. Und nun kauft er auch noch Twitter.

Eine Sünde aus deutscher Mediensicht

Eine unverzeihliche Sünde aus Sicht deutscher Medienarbeiter. Ein Tabubruch! Das Kurznachrichtenportal, seit seiner Gründung vor 16 Jahren zu dem Treffpunkt von beruflichen Meinungsgestaltern, politischen Selbstdarstellern und öffentlich-rechtlichen Gebührenzapfern geworden, war gerade erst an einem Entwicklungspunkt angekommen, an dem abweichende Ansichten, falsche Meinungen und die alternative Interpretation von Ereignissen und Zusammenhängen kaum mehr möglich war. 

Als "Hass" erst laut tönend bekämpft, dann schließlich mit Hilfe immer enger gezogener Hassmelde- und Verfolgungsgesetze verfolgt, war der Widerspruch die Gewalt der Vorkriegszeit. Dies oder jenes anders zu sehen, hieß stets, zu "leugnen". Leugnen aber war Trump, war Petry, Gauland und Orban; war eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diese Art Untergang, sie verbreitete sich gerade bei Twitter, denn bei Twitter sitzen die Influencer, Einflüsterer und Verbreiter, die hier den Hass zapften für die aufgeregten Empörungsgeschichten der seriösen alten Medien. Über Twitter steckte Trump die Welt an. Über Twitter entschied Putin die amerikanischen Wahlen. Über Twitter gelang es dem deutschen Faschismus, wieder einen Fuß in die bürgerliche Tür zu bekommen.

Hochgejazzte Bedeutung

Die Bedeutung von Twitter, mit bis heute gerade mal 330 Millionen angemeldeten Nutzern weltweit eher Kaffeetischchen der Welt als große Tafel, wurde systematisch überhöht, denn nirgendwo war es leichter, Zitate zu finden, Konflikte zu inszenieren und für jede steile These, die in Umlauf gebraucht werden sollte, eine Quelle vorweisen zu können. Dank der 280-Zeichen-Plattform geriet ein Tweet, der 100 Widersprüche erntete, schon zum Anfang einer Hexenverbrennung. Ein "Dich müsste man umlegen" verwandelte sich in eine Morddrohung. Und "Ich glaube nicht, dass die Menschheit Corona überlebt" brachte die Verfasser*in über ein paar semantische Nebenstraßen unter Verdacht, Bill Gates für den einen Echsenmenschen zu halten. 

Obwohl 80 Prozent aller Deutschen noch niemals selbst irgendetwas auf Twitter gelesen haben geschweige denn dort etwas schreiben, war das Portal in aller Munde als geradezu mystischer Ort, von dem in Zeitungen und Zeitschriften und im Fernsehen tagtäglich die Rede war. Dort, so hieß es, geschehe überaus Bedeutsames. Prominente betrieben Marketing. Parteivorsitzende stellten klar. Hinterbänkler machten auf sich aufmerksam. Humoristen machten Witze.

Weite, weite Grenzen

Dass ausgerechnet Elon Musk Twitter kauft, ein nonkonformen Mega-Milliardär mit einem sehr undeutschen Faible für eine Meinungsfreiheit mit weiten, weiten Grenzen, ist für die Anhänger einer regulierten  Meinungsfreiheit mit klaren Grenzen für alles Sagbare eine Katastrophe. Ungeachtet der europäischen  Rechtslage, die es ihnen eigentlich nicht einmal erlauben würde, ein einziges Wort bei Twitter zu schreiben, hatten sie sich die große Pinnwand zuletzt zurechtgelegt, wie sie sie haben wollten. Was nicht passte, wurde wegzensiert. Wer nicht spurte, wurde gesperrt. 

"Z" wie Zensur regierte wie in den Leitmedien so auch auf der blauen Plattform. Die folgte nicht mehr den Vorstellungen der amerikanischen Gründerväter von freier Rede, sondern mehr und mehr denen der EU-Meinungsfreiheitsschutzbehörden, die seit Jahren beharrlich auf eine Welt zuarbeiten, in der Ansichten vor jeder Äußerung beim staatlichen Ansichtenzulassungsamt vorgelegt und lizensiert werden müssen.

Musks 41-Milliarden-Euro-Operation hat sie alle umgehend auf die Palme getrieben. Die sogenannten "Falschen" jubeln "Elon made twitter great again!". Jan Böhmermann, einer von den Richtigen, dagegen beißt in die Tischkante und verlangt nach einem staatlichen Eingreifen: "Kann Europa nicht einfach Twitter kaufen? Für eine Milliarde mehr?", fragt er ohne darzulegen, ob Russland in diesem Fall zu Europa gehört. Wichtig ist nur: "Twitter vergemeinschaften!" und bei der Gelegenheit auch gleich noch "Meta zerschlagen! Google unter öffentliche Kontrolle bringen!" Sozialismus jetzt! 

Auf dass alles, was der öffentlichen Meinungsäußerung dienen könnte so wird wie ARD und ZDF. Gemeinsinnssender wie in der DDR, eine Quelle, ein Fluss, eine Plattform, regiert von den selbstlosen Kriegern des Lichts, die ausgezogen sind, das Gute mit dem Schwert des selbstausgedachten Rechts gegen rechts zu verteidigen gegen jemanden wie Musk, der behauptet, "Redefreiheit ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, wo die Zukunftsthemen der Menschheit diskutiert werden."

Wer zu spät kommt

Bezeichnend für den Zustand der Gesellschaft, dass Böhmermann jetzt mit seiner Kaufidee kommt, obwohl er doch seit dem Börsengang von Twitter vor neun Jahren Zeit gehabt hätte, Tag für Tag Aktien des Unternehmens zu kaufen und Gleichgesinnte dazu aufzufordern, es ihm nachzutun. Twitter war nicht immer 40 Milliarden Euro wert. Es waren zwischendurch auch mal nur knapp zehn Milliarden. Nichts, was sich nicht mit einer Jahresscheibe Rundfunkgebühren hätte finanzieren lassen.

Zu der Zeit aber wollte niemand. Nun aber will der Falsche. Dass es nach Jeff Bezos, der die lavede "Washington Post" vor dem Tod rettete, mit Elon Musk nun ein zweiter Multi-Milliardär ist, der sich mit Twitter ein Medium zulegt, mit dem er nicht lukrative Gewinnmöglichkeiten, sondern die Erwartung verknüpft, dass es irgendwie wichtig sei und er berufen, den Erhalt zu sichern, stößt dort, wo alte Familienclans, politische Parteien, undurchschaubare Genossenschaftsmodelle und vielfach verwobene Netzwerke über Medienmacht gebieten, auf energischen Widerspruch.  Für den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" ist Elon Musk mit seiner Definition an eine Meinungsfreiheit, die auch das Gegenteil seiner eigenen Meinung schützt, ein "Troll", ein gefährlicher sogar.  

Alle schlechten Wünsche

Jemand, der ankündigt, die Türen für jedermann wieder zu öffnen für eine Rückkehr aus dem engen, stickigen Hinterzimmer der regulierten Auffassungen in den großen Saal des Allessagbaren, muss bekämpft werden, denn dass zu diesem Zweck "die Aktien eines privaten Unternehmens kauft" und im Schutz seines unermesslichen Reichtums verspricht, die freie Rede wieder garantieren zu wollen wie früher, ist keine Wohltätigkeit und kein Glücksfall, keine Caritas und keine Philantropie, obwohl er könnte für das Geld ja auch Inseln, Schlösser, Yachten, Frauen oder Raketen kaufen. Nein, es ist "Neo-Feudalismus" (Die Welt), es ist zu verurteilen, es ist ihm zu missgönnen und es ist natürlich zu wünschen, dass ihm das nun endlich das Genick bricht.



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4 comments
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SO geht Meinungsfreiheit. Sehr Gut geschrieben, ich habe mich Amüsiert beim Lesen.

Vielleicht komme ich sogar wieder auf Twitter zurück. Aber nur Vielleicht. Ich traue auch einem Musk nicht über den Weg und habe ja den Hive als Hafen für das, was ich Sagen möchte, Ob erlaubt oder Nicht.

Liebe Grüße
Sascha

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Das ist natürlich die Frage, ob er es im Fall des Falles ernst meint und sich raushält, auch wenn es schwerfällt. Aber es ist nur Twitter, nicht die Trinkwasserleitung daheim.

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Nur der Vollständigkeit halber: Musk ist auch der einzige, der ein richtiges "eigenes Internet" besitzt: Starlink.
Und das ist nicht einfach nur ein Spielzeuginternet, wie in Nord Korea. Wenn Musk das will, kann er ein Internet 2.0 erschaffen, das komplett unabhängig von der existierenden Infrastruktur funktioniert. Jetzt (bald) hat er die erste Social Media Plattform dafür.
Auf den ersten Blick mag so ein WWW 2.0 lächerlich erscheinen, wenn es keinen Zugang zum WWW 1 bietet (weil der dann unterbunden wird). Aber das kann sich auch ändern. Wer solche Werkzeuge besitzt, kann einiges bewegen.
Er könnte zB. sagen, wer bei Twitter aktiv ist, bekommt einen Rabatt beim Starlink Vertrag. Dieser wird in Dogecoin ausgezahlt. Mit denen kann man dann einen Tesla billiger kaufen, oder was anderes aus dem Musk Imperium.
Da ist vieles möglich, und keiner kann ihn wirklich stoppen, denn er ist nicht auf die bestehenden Server Farmen und Datenleitungen angewiesen. Und er muß das auch nicht von den USA aus machen. Man sollte ihn nicht unterschätzen - der weis was er will und wie er es machen muß.

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